Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen: Max Horkheimer im Interview mit Helmut Gumnior (1970)
»In einer wirklich freiheitlichen Gesinnung bleibt jener Begriff des Unendlichen als Bewußtsein der Endgültigkeit des irdischen Geschehens und der unabänderlichen Verlassenheit des Menschen erhalten und bewahrt die Gesellschaft vor einem blöden Optimismus, vor dem Aufspreizen ihres eigenen Wissens als einer neuen Religion.«
Diesen Satz schrieb Max Horkheimer vor 35 Jahren im amerikanischen Exil. Er war damals seit über einem Jahr in New York. Noch galt er zu der Zeit als Marxist, als Begründer einer Theorie, die gesellschaftliches Wirken als Produktionsprozeß zu begreifen versuchte, die Philosophie als Kampf und nicht als weltferne Spekulation verstand, die von einer Revolution eine heile Welt, den vernünftigen Zustand der Gesellschaft erwartete.
H.G.: Herr Horkheimer, wie kommt ein Marxist, ein Revolutionär dazu, einen solchen Satz zu schreiben?
MAX HORKHEIMER: Es stimmt, ich war Marxist, ich war Revolutionär. Ich habe nach dem Ersten Weltkrieg begonnen, mich mit Marx zu beschäftigen, weil die Gefahr des Nationalismus offenkundig war. Ich glaubte, nur durch eine Revolution könnte der Nationalsozialismus beseitigt werden und zwar durch eine marxistische Revolution. Mein Marxismus, mein Revolutionärsein war eine Antwort auf die Herrschaft des Totalitären von rechts. Ich hatte aber schon damals Zweifel, ob die von Marx verlangte Solidarität des Proletariats schließlich zu einer richtigen Gesellschaft führen würde.