Der Prolet ist Ein Anderer. Klasse und Imaginäres Heute

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An ihren Begriffen sollt ihr sie erkennen. Dass Begriffe nicht einfach nur neutrale generalisierte Bezeichnungen von Dingen, Vorstellungsinhalten und Praktiken, oder reflektierter: von zuvor selbst erst gesetzten Differenzen sind, wie das der Commonsense oder die Wissenschaftstheorie annehmen, sondern potentiell immer auch politische »Kampfformeln« (Eric Voegelin), vermittels derer Sachverhalte und Verhältnisse zugespitzt und einer politischen Entscheidung zugetrieben werden, das hat die politische Rechte unserem Verständnis von Begriff hinzugefügt. Ein Virtuose dieser Form von Begriffsgebrauch war Carl Schmitt. Begriffe sortieren Gegenstandsfelder nicht nur, sondern richten sie aus; und sie werden selbst zu Kennmarken, nach denen sich – gut schmittianesk – Freund und Feind gruppieren. Dabei spielen weniger analytische Trennschärfe und Präzision der Begriffe eine Rolle als die affektive Ladung, die sie als Elemente von Sprache nolens volens immer aufweisen und die selbst in der kältesten Wissenschaftsprosa nie ganz neutralisiert werden kann. Das eigentlich poetische Moment jeder Theorie liegt in ihrer Nomenklatur, behauptet Giorgio Agamben irgendwo: in der Belehnung bestimmter Wörter (und eben gerade keiner anderen) mit Begriffsfunktion.

Ein lange gültiges Schibboleth dieser Art war »Klasse«. Wer den Begriff benutzte, kam von links, wer sich über den Begriff stritt – und da gab und gibt es einiges zu streiten! –, der stand auf der Linken; und dass »Klasse« zuzeiten sich zu einem »neutralen« wissenschaftlichen Begriff zu verallgemeinern schien (wie in den 1970er Jahren in der westdeutschen Akademie), kann als Anzeichen einer linken Hegemonie in diesem Bereich und zu dieser Zeit gedeutet werden. Und viele von denen, die irgendwann ihren »Abschied vom Proletariat« genommen haben, spüren noch oft eine leichte Wehmut, wenn sie wenigstens an jene alten Illusionen zurückdenken, die im Begriff »Klasse« wie in wenigen anderen aufgespeichert sind.

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